Samstag, 2. Januar 2021

MAGIC DATA

 Ulrich hat beruflich und aus Berufung viel mit Zahlen zu tun – Statistiker, jetzt vor allem im Einsatz bei der Auswertung der Daten zur aktuellen Pandemie.

Es war ihm zur Angewohnheit geworden, sich regelmäßig selbst zu testen.

Eines Morgens – Positiv!

Überrascht, nicht besonders erschrocken, da er sich nicht zur Risikogruppe zählte, ruft er seiner Frau zu: „Schatz, mein Test ist positiv!“

Sie antwortet: „Was, zeig her, das glaub ich nicht! Wo solltest du dich denn angesteckt haben?“

Er zeigt ihr den Test. „Aber das ist doch einer von meinen Schwangerschaftstests! Und er ist positiv! Als ich vorher einen gemacht habe, also mein Schwangerschaftstest war negativ!“ Den richtigen Coronatest, den er dann doch noch zuwege brachte, war dann wie erwartet negativ

Sie ließen es nicht darauf beruhen, vermutlich Opfer eines statistischen Fehlers geworden zu sein. Auch alle weiteren Tests in den modernsten Laboratorien und Spitälern des Landes ergaben das gleiche Resultat: er war schwanger und würde ein Kind auf die Welt bringen! Es gab zwar keine wirkliche Erklärung dafür, wie das überhaupt möglich sein konnte – eine Freundin mit starkem Hang zur Esoterik meinte, es müsse eine Art Selbstbefruchtung gewesen sein, schließlich war sie schon immer der Meinung, dass Männer ihrem weiblichen Anteil mehr Raum geben sollten – aber nach der üblichen Zeit war auch am Ultraschall ersichtlich, dass es ein Mäderl ist.

Es sollte ihr erstes Kind sein, und sein Fokus richtete sich darauf, in welcher Welt sie sich wünschten dass es aufwächst und wie diese Welt aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich aussehen wird – und was dazu getan werden kann, das es eine gute Welt ist! 

Er war sich bewusst, dass er nun tatsächlich einen gewichtigen Beitrag leisten konnte. Er war eine Berühmtheit geworden, die Aufmerksamkeit der Medien war auf ihn gerichtet, sein Blog wurde von Millionen gelesen und kommentiert – nicht, dass er viel Aufmerksamkeit darauf verschwendete, er konzentrierte sich vielmehr auf die statistischen Daten, die ja nunmehr Dank der Zusammenarbeit von internationalen Organisationen in großer Menge – und kostenlos! – zur Verfügung standen. Er hütete sich auch davor, in irgendeiner Form eine Ideologie oder Regierungsform zu bevorzugen, er wies vor allem auf die Daten hin und ermunterte dazu, sich selbst einen Reim darauf zu machen – die Mehrzahl der Leute war ja nicht blöd, auch das ließ sich aus den Daten herauslesen.

Ein wichtiger Indikator für ihn war jedenfalls die Kindersterblichkeit – weltweit gesehen war diese in den letzten 20 Jahren erheblich zurückgegangen, zusammen mit einem Rückgang extremer Armut und der Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums sowie mit einem weltweiten Anstieg des Durchschnittseinkommens – durchaus überraschend auch für ihn, wurde er doch von den Medien mit ganz anderen Aussagen und Inhalten bombardiert. Die entscheidenden Faktoren dazu klangen recht banal – Bildung, sauberes Wasser, Elektrizität waren dabei entscheidende Faktoren. Und er war sich auch bewusst, dass diese Entwicklung keine Selbstverständlichkeit war und durchaus einen falschen Weg einschlagen konnte – die Zacken auf den Statistiken des 20. Jahrhunderts zeigten genau die Weltkriege, die spanische Grippe oder die Hungersnot in China noch in den 1960er Jahren. Und genau so ließ sich auch herauslesen, wie wichtig weltweit koordiniertes Vorgehen für die ökologischen Probleme war.

Auch in seinem unmittelbaren Umfeld konnte er nun gravierende Missstände verorten, die ihm vorher nicht so bewusst waren – warum gab es keine flächendeckenden Einrichtungen zur Kinderbetreuung, warum gab es so offensichtliche Defizite im Bildungsbereich? Warum wurden Organisationen gefördert, die unverblümt Ungleichbehandlung von Mann und Frau befürworteten? Dagegen konnte er nun mit Vehemenz auftreten.

Er selbst war ja nun ein winziger statistischer Teil – der erste schwangere Mann! Wer weiß, ob das eine einmalige Laune der Natur war oder auch einen exponentiellen Verlauf nehmen sollte? Evolutionär betrachtet machte es durchaus Sinn, auch wenn es noch keine Erklärung dafür gab ….

Jedenfalls hatten sie schon einen Namen gefunden, völlig frei von Statistik und für den Fall der Fälle auch für einen Buben – man weiß ja nie genau was kommt.

 

Auf die Zukunft!

 

 

OLDIES UNTER SICH

 


OLDIES UNTER SICH:

Wollen wir, dass unsere Enkelkinder in solch einer Arbeitswelt arbeiten werden?


R: die Arbeitgeber wollen rechtlose Arbeitnehmer haben


A: die SPÖ sieht es nicht oder versteht es nicht

S: in den USA sind alle Milchprodukte der Region New York von der Arbeit illegaler Mexikaner abhängig; diese illegalen Mexikaner dürfen nicht einmal die Farm verlassen, sonst würde man sie finden; trotz der Forderung, dass die Ausländer nicht kommen sollen, werden die Illegalen genommen, da die Wirtschaft davon abhängt und da sie Lohndruck erzeugen 

R: das ist die gute Zusammenarbeit von Unternehmern, die billige Arbeitskräfte brauchen und die untere Schicht gegen die unterste aufhetzen 

W: diese Arbeitnehmer haben höchstens einen Kollektivvertrag, aber keine Gewerkschaft 

H: die Gewerkschaft ist lahm geworden 

A: das Wirtschaftssystem hat sich sehr geändert; es gibt Konzerne wie das von Stronach und Amazon, wo es keinen Betriebsrat gibt

H: wir kaufen bei Amazon ein und lassen zu, dass dies geschieht 

W: es gibt in Österreich das Arbeitsverfassungsgesetz, aber die Firmen sind so organisiert, dass dieses Gesetz nie zum Tragen kommt

H: die SPÖ sollte sich dieser Sache annehmen 

W: die SPÖ will das eh, aber es ist nicht so leicht 

S: das würde bedeuten, sich konsequent im Supermarkt anzustellen und nicht die automatische Kassen zu benützen 

A: die Macht der Konsumenten hat Grenzen; in Deutschland gibt es Rechtsexperten, die Betriebe berät, wie man Betriebsräte los wird

D: Logistikfirmen wie DPD haben keine Belegschaft, da kann man nicht gewerkschaftlich eingreifen 

H: die Rahmenbedingungen für Betriebe werden immer noch von der Gesellschaft gemacht – wollen wir, dass unsere Enkelkinder in solch einer Arbeitswelt arbeiten werden?



ZWISCHENDURCHPLAUSCH UNTER STUDENTEN

 ZWISCHENDURCHPLAUSCH UNTER STUDENTEN

 

W: also wie können wir uns eine bessere Zukunft vorstellen?

Was sagen uns die Professoren da eigentlich immer? Wir brauchen doch kein Wirtschaftswachstum – keinen Wettkampf – wer will das? Es muss zu einer Veränderung der Werte in unserer Gesellschaft kommen: ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Wir wollen Zeit zum Miteinander leben und gesundes Essen.

B: ja 1) die ökologischen Grenzen des Wirtschaftssystems müssen stimmen.

W: 2) ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem ist angesagt – Absicherung der Arbeitsplätze, Investitionen in die Infrastruktur, Klimatechnisches usw.

B: 3) Konsumismus muss abgebaut werden, denn stark ungleiche Gesellschaften tendieren zum Statuskonsum – die Leute glauben ja, dass sie wer besserer sind, wenn sie kaufen können.

W: in jedem Fall, das sagen fast alle fortschrittlichen Ökonomen, muss die Arbeitszeit verkürzt werden.

„DIE WIRTSCHAFT VERWANDELT DIE WELT, ABER NUR IN EINE WELT DER WIRTSCHAFT.“

Guy Debord

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hier als Podcast zum Nachhören:

podcast


hier auch als mp4 zum Download:

Freitag, 1. Januar 2021

Apocalypse now!

Kanzler Kurtz kämpft mit der Temperatur

Kanzler Kurtz, im etwas zu eng geschnittenen Anzug, gut frisiert, steht vor einem sehr großen Thermometer und liest ungeduldig zweifelnd die Temperatur ab, ist mit dem Ergebnis unzufrieden und klopft an das Thermometer, wie man es bei einem Barometer machen würde. Spricht dann mit leicht weinerlichen, klagenden Stimme:

KK: “4 Grad, immer no vier Grad. So einer Sauerei. Da reiß ich mir die Seele aus dem Leib und dann immer wieder: 4 Grad!”

Schreitet langsam, kopfschüttelnd, zuerst -von den Zuschauern aus gesehen- nach rechts , dann quer über die ganze Bühne ganz nach links, kommt wieder zur Mitte der Bühne

KK: “Da quäl ich sie und quäl ich sie und immer noch: 4 Grad!” 


Schreitet wie zuvor, nur etwas schneller, nur diesmal nach links und dann nach rechts,  kommt wieder zur Mitte


KK: “Z’haus müssen’s bleiben, Einkaufen nur das Nötigste, die Haar wachsen ihnen über die Augen.”


Lächelt versonnen


KK: “Die geh’n sich schon fest auf die Nerven, die Eheleut’, die Kinder, die Chefs und die im home office.”


Geht wieder zum Thermometer, schaut, klopft wie zuvor


KK: “Und hau’n sich gegenseitig in die Goschen!”


Prüft neuerlich das Thermometer


“No immer: vier Grad. 

Es is zum aus der Haut fahren!"


Denkt ein wenig nach


KK: "Ich ruf den Kardinal an!”


Zieht ein ziemlich großes Mobiltelefon aus dem Sakko, das nun zu weit erscheint, wählt eine kurze Nummer, wartet ein bißchen


KK: “Herr Kardinal! 

Ja, hier Kanzler Kurtz. 

Noch immer vier Grad!”


Hört zu und wiederholt als Gesprächsfetzen, was der Kardinal antwortet


KK:  “Was? Kein direkter Zusammenhang?

Kein direkter Zusammenhang zwischen den Quälereien und der Temperatur? 

Ja, was lass ich denn dann die Leute so quälen, wenn es gar keinen Zusammenhang…”


Wiederholt die Antworten des Kardinals ungläubig und zunehmend ärgerlich


KK: "Mit der Temperatur. So wenig Zusammenhang wie zwischen meinen Quälereien und die Anzahl meiner Wähler. 

Mit der Temperatur. So wenig Zusammenhang wie zwischen meinen Quälereien und den Stimmen für die Opposition.

Mit der Temperatur. So wenig Zusammenhang wie zwischen meinen Quälereien und der Anzahl der Grippekranken! 


Ja, das ist ja zum aus der Haut  fahren." 


verzweifelt, und schreit noch lauter


"Apocalypse now!"


Hört nun nur zu und beruhigt sich langsam wieder


"Herr Kardinal!” 


wiederholt wieder als Gesprächsfetzen nur teilweise die Antworten des Kardinals


KK: “Maßnahmen intensivieren. 


Unmißverständlich und unbarmherzig!


Entschlossen und einschneidend intensivieren, ja natürlich.”


Denkt nach, spricht dann entschlossen, mit fester Stimme und keinerlei  Weinerlichkeit mehr zunehmend emotionslos und bedrohlich, aber auch ein wenig einschmeichelnd


KK:"Ja, Herr Kardinal, da können Sie mir sicherlich sehr helfen. 

Sie haben ja einschlägige Erfahrungen mit den Ketzern und den Hexen.

Inquisition.

Strecken. 

Aufs Rad flechten. 

Verbrennen, 

und so fort. 

Ja, das wäre doch gelacht. 

Irgendwie muß diese Temperatur zu senken sein.

Ja, dafür müssen leider, leider Opfer gebracht werden. 

Substanzielle und existentielle Opfer gebracht werden, ganz klar.


Danke, Herr Kardinal und schöne Feiertage.

Ich verlaß mich ganz auf sie und: Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit.  Amen.”


Geht ein paar Schritte nach links, verweilt kurz nachdenklich,  blickt böse ins Publikum, lächelt kurz und geht nach links ab  



   

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Übermenschliches im Lebensmitteleinzelhandel, Dramolett in 5-6 Akten

Übermenschliches im Lebensmitteleinzelhandel, Dramolett in 5-6 Akten

1. Akt
(Wiener Neudorf, Rewe-Zentrale, dunkel getäfelter Sitzungssaal, düstere Stimmung.
DER FINANZ-VORSTAND im eng anliegenden Designeranzug hält eine Ansprache an die versammelten Verkaufsleiter)
DER FINANZ-VORSTAND (theatralisch, es klingt aber eingeübt): ...möchte ich Ihnen für Ihren grossartigen Einsatz in diesen herausfordernden Zeiten aus vollem Herzen danken. Sie haben wahrlich Übermenschliches geleistet!
(hält inne und schaut jeden Einzelnen prüfend an. Dann etwas leiser, mit heiserer Stimme)
DER FINANZ-VORSTAND: Leider haben wir ein Problem mit unseren Eigentümern; sie sind unzufrieden, weil wir unsere Umsatzrendite zu wenig gesteigert haben. Außerdem konnten wir die Personalkosten nicht im geplanten Ausmaß reduzieren. Der Aufsichtsrat verlangt von uns eine straffere Personalpolitik. Noch dazu hat uns die Spar beim Umsatz überholt.
(holt tief Luft, entschlossener)
DER FINANZ-VORSTAND: Das bedeutet, dass wir unsere geplanten Jahresprämien kürzen müssen. Die drei Verkaufsleiter mit den schlechtesten Zahlen werden ihren Job verlieren. Aber ich versichere Ihnen, dass wir für Sie alle eine Lösung finden werden. (setzt eine zuversichtliche Miene auf und endet mit salbungsvoll aufmunternden Sprüchen)
DER MERKUR-VERKAUFSLEITER (ängstlich zu sich): In der Filiale kann ich nicht mehr arbeiten, da verlier ich mein Dienstauto, was würde meine Frau sagen?
DER BILLA-VERKAUFSLEITER (leise, zu seinem Nachbarn): Wie soll ich jetzt den Anwalt für meine Scheidung zahlen?
DER PENNY-VERKAUFSLEITER (wispert zurück): Ich muss rasch zur Bank, hoffentlich kann ich die Raten für mein neues Haus reduzieren.
(Vorhang)

2. Akt
(Strasshof, heruntergekommene BILLA-Filiale, nach Geschäftsschluss, winziges Büro des Filialleiters. DER BILLA-VERKAUFSLEITER steht mit dem BILLA-FILIALLEITER zwischen unordentlich gestapelten Kisten und ein paar abgewetzten Aktenordnern. Stechender Geruch nach Reinigungsmittel)
DER BILLA-VERKAUFSLEITER (eindringlich): Ausgmacht hamma, dass du die Personalstunden um 5% reduzieren wirst. Und jetzt hast im letztem Monat wieder 10 Stunden zuviel aufgschrieben. Da schauts mit deiner Prämie schlecht aus!
DER BILLA-FILIALLEITER (weinerlich): Es war halt vü Gschäft, wir hobn um 5.300 Euro mehr Umsatz gmacht, da brauch i mindestens zwa offene Kassn.
DER BILLA-VERKAUFSLEITER (ärgerlich): Deine Nachbarfilialen schoffens a, (leise): lass deine Kassierinnen hoit weniger Stunden schreibn.
DER BILLA-FILIALLEITER (verzweifelt): Dann rennans ma zua Gewerkschoft und wir haben an Wirbel wie letztes Joah mitn Oabeitsinschpektorat. Beim Penny ums Eck habens a Kassierin varhoftn lossen, weus wieda gfladert hot.
(zu sich:) I brauch die Prämie fia meine Schuidn, sonst muas i ma wieda wos aus da Kassa borgn...
(Vorhang)

3. Akt
(Strasshof, dieselbe BILLA-Filiale im Morgengrauen, 5 Minuten nach der Öffnung)
DIE BILLA-KASSIERIN (läuft abgehetzt zu ihrer Kasse, ihr Kopftuch ist verrutscht): Gut, doss kane Kunde ist da!
DER BILLA-FILIALLEITER (aufgebracht): Jetzat kummst scho wieda zspät, des ziag i da von deine Stundn o.
DIE BILLA-KASSIERIN (verschüchtert): Chef, Tochta hota Fiaba und Oma no ned do. Schnöbohn kaput. Oba Problema mit meine Lohnzettl, 13 Stundn föhlen.  Ich brauchen Göd fia Familie, du host vasprochen!
DER BILLA-FILIALLEITER (wütend): Wonnst goschat wiast, hau i di aussa...
(Vorhang)

4. Akt
(Strasshof, dieselbe BILLA-Filiale gegen Mittag, es riecht säuerlich, bei Kasse 2 stehen mehrere Kunden, eine ältere Kundin kramt in ihrer verschlissenen Geldbörse)
DIE BILLA-KASSIERIN: 7 Euro 96!
DIE ÄLTERE KUNDIN (verzweifelt): I hob do no an Zwanzga iagendwo kopt?
(reicht der Kassierin ihre Geldbörse)
DIE BILLA-KASSIERIN (schaut angewidert in die Geldbörse, streng): Da san nua 5 Euro drinnan. Wenn nicht kennan zohln, bitte verlossn Kassa. (räumt die wenigen Artikel der ÄLTEREN KUNDIN vom Kassatisch, hastig:) Ich missen in Stunde 120 Kunde kassiern.
DIE NÄCHSTE KUNDIN: Unglaublich, welches Gsindl da heute einkaufen will...
(Vorhang)

5. Akt
(Markgrafneusiedl, verfallenes Haus, feuchtes Kellergeschoss, alter Fernsehapparat, davor die BILLA-KASSIERIN, müde sieht sie ein Interview mit dem REWE-CHEF)
DER REWE-CHEF: ...wir wachsen deutlich stärker als in den Vorjahren. Der höhere Umsatz ist nicht wegzudiskutieren. Wir sind die letzte Branche, die sich beklagen darf.
DER REPORTER: Ihre Mitarbeiter stehen seit Beginn der Krise an der vordersten Front, leisteten, wie Sie selbst einmal betonten, Übermenschliches. Wie gelten Sie Ihnen das finanziell ab?
DER REWE-CHEF: Wir zahlen heuer zwei Prämien. Im Frühjahr waren es 200 Euro je Vollzeitmitarbeiter. Nun sind es erneut 200 Euro. Das Geld kann bei uns im Konzern eingelöst werden.
DER REPORTER: Mit Verlaub, aber sind 400 Euro nicht sehr bescheiden? Zumal die Gehaltserhöhung für 2021 mit 1,5 Prozent mager ausfällt.
DER REWE-CHEF: Wir haben 46.000 Mitarbeiter, da geht es unterm Strich um hohe Summen: rund 15 Millionen Euro. Wir haben ab 2022 einen neuen Kollektivvertrag, der die Personalkosten stark belastet, sicher wieder mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Im Jahr davor muss die Anpassung daher vernünftig sein...
DIE BILLA-KASSIERIN (ist erschöpft vor dem Fernseher eingeschlafen)
(Vorhang)

6. Akt (sog. Bonus-Akt, wird nur gespielt, wenn sich das Publikum durch großen Beifall qualifiziert hat)
(Köln, ein gepflegter Golfplatz nahe dem Standort der REWE-ZENTRALFINANZ eG. Am Green des 7. Lochs unterhalten sich 2 REWE-GROSSHÄNDLER angeregt mit dem REWE-AUFSICHTSRATSVORSITZENDEN, alle sind sportlich-leger gekleidet und verwalten nette Anteile an der REWE-GROUP)
ERSTER REWE-GROSSHÄNDLER: Habt ihr gestern den REWE-CHEF von Österreich in den Spätnachrichten gesehen?
DER REWE-AUFSICHTSRATSVORSITZENDE: Ach ja, der Gute gab ja jestern ein Interview im Österreichischen Fernsehen.  
ZWEITER REWE-GROSSHÄNDLER: Ist mir irgendwie abgeschlafft vorgekommen. Der hat doch früher mal mehr Mumm gezeigt.
ERSTER REWE-GROSSHÄNDLER: Kam mir auch recht saturiert vor. Vielleicht waren wir doch zu großzügig bei seinen Tantiemen?
DER REWE-AUFSICHTSRATSVORSITZENDE: Könnte sein, dass der irgend ne soziale Ader bei sich entdeckt und uns noch zum Gutmenschen verkommt. Muss ihm mal wieder etwas Feuer unterm Hintern machen.
ZWEITER REWE-GROSSHÄNDLER: Falls du Ersatz brauchst, ich kenn da ein paar hungrige Leute, die wieder neuen Schwung reinbringen könnten...
(alle drei lachen wissend. Der ERSTE REWE-GROSSHÄNDLER rollt seinen Golfball unbemerkt von den beiden anderen mit der linken Ferse näher zum Loch.)
(Vorhang)

Quellen:
https://www.derstandard.at/story/2000122382141/rewe-chef-haraszti-oesterreich-ist-ein-paradies-fuer-amazon
https://de.wikipedia.org/wiki/Rewe_Group

https://www.rewe-group.at/
https://www.rewe-group.com/de/unternehmen

Die einzelnen Szenarien sind natürlich frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, Organisationen oder Lokationen ist rein zufällig.


Dienstag, 29. Dezember 2020

Unternehmer unter sich, ein Dramolett

Unternehmer unter sich, ein Dramolett

(Wien Essling, winterliche Abendstimmung, kalter Schneeregen, matschige Nebenstrasse.
Über einer baufälligen Garage ein selbst gemaltes Schild "Logistig Internazional e.U.".
Darin im Halbdunkel zwei Paketzusteller und der Eigentümer der Garage.
Die Paketzusteller suchen Ersatzteile für ihre defekten Lieferautos, der Eigentümer mustert sie erwartungsvoll)

DER GLS-ZUSTELLER: Hallo Chef, sucha Kupplung fia Fiat-Ducato aus 2001
DER EIGENTÜMER: Du heit scho da dritte, suchta sowos. Meglich dort hintn im Eck vielleicht.
DER GLS-ZUSTELLER (wühlt suchend im finsteren Eck, verbissen:) In 30 Minuta muss sein in Zentrole.
DER GLS-ZUSTELLER (findet nach ein paar Minuten rostigen Ersatzteil, zum EIGENTÜMER:) Konn i zohlen morgen?
DER EIGENTÜMER: Nur Cash, 230 Euro, jetzat.
DER GLS-ZUSTELLER: Geb da 130, oba mit Rechnung (stolz:) bin Einzelunternehma, nix Oabeita. (zahlt bar gegen Rechnung, geht hastig ab.)

DER AMAZON-ZUSTELLER: Boss, Starta kaput, Renault-Trafic von 2003.
DER EIGENTÜMER: Starta nix mea do. Aber geb da 500 Eur fia Renault.
DER AMAZON-ZUSTELLER, (verzweifelt:) Renault voa drei Monat um 4.000 Eur von Logerchef gekauft. San 37 Paketa drinan, liefan heit no. Konnst du mia borgen ondere Auto?
DER EIGENTÜMER: Du kriegsta wievü pro Paketa?
DER AMAZON-ZUSTELLER: net gor so vü! (nachdenklich:) Solltat gehn zu Gewerkschoft?
DER EIGENTÜMER: Bist depat? Bista Untanehma. Untanehma nix gehta Gewerkschoft!
Warum du kummst ned glei zu mia? Hosta kane Problema mea mit Auto und konnst schlofen do, brauchsta ka Gewerkschoft, bleibsta Untanehma.
DER AMAZON-ZUSTELLER: Scho wos ghert Amazon?
DER EIGENTÜMER: Orbeit scho drei Johr fia Logistikchef vom Amazon, jetzt bin i Subuntanehma, wonnst wüst i ruf eam o, mochma perfekt ollas und du kriegst des Göd ob jetzt glei von mia.
DER AMAZON-ZUSTELLER: Muss nächste Wochn Göd noch Bulgaria zua Family schickn. Family sehr stolz, weu Untanehma.
DER EIGENTÜMER: Moch ma borgeldlos fia di, gegen klane Provision. Wonn du mia no bringst Kollega fia Liefan, krieagst klane Provision a von mia.
DER AMAZON-ZUSTELLER (denkt nach, dann:) Und i kriag Provision und i bleib Untanehma?
DER EIGENTÜMER: Kloa, du bist Untanehma, i bin Untanehma, Amazon is Untanehma!
 
BEIDE (im Chor:) Samma olle Untanehma. Wonn gehta gut Wirtschoft, gehta gut olle!
(Umarmen sich. Vorhang)

Dienstag, 22. Dezember 2020

F. Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1845

F. Engels: Die Lage der
arbeitenden Klasse in England,
1845, Leipzig

un petit dérive, ou peut être même un détournement

Keynote Andreas Nagler für enbloc, 12.12.2020

Hier der Link zum Dokument:
https://drive.google.com/file/d/1u1yVE4aY6gjcziMAn-HLrJ7Rgjc0Bf-j/view?usp=sharing

 

 

 

F. Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1845, Leipzig

un petit dérive, ou peut être même un détournement

Andreas Nagler für enbloc, 12.12.2020

1

InhaltsverzeichnisIst nicht der Inhalt!

2

3

Überblick und Entwicklung von Zahlen aus der Einleitung:

1

1834 leben 1 500 000 Menschen in England von der Textilindustrie, davon 220 000 in Fabriken

Energieaufwand :33 000 Pferde Dampfkraft 11 000 Pferde Wasserkraft

Maschinen: Mule Spindeln Handwebstühle mech.Webstühle

8 000 000 250 000

110 000

4

Überblick und Entwicklung von Zahlen aus der Einleitung:

2

Import Rohbaumwolle:1771-1775 im Durchschnitt <50.000.000 Pfund

1841

1844
Export: gewebte Baumwoll-Stoffe

Baumwollgarn Baumwoll-Strumpfwaren

528.000.000 Pfund 600.000.000 Pfund

556.000.000 yards 76.500.000 Pfund

1.200.000 Pfund

Engels nimmt an, dass sich 1845, im Vergleich zu 1834, die Anzahl der Arbeiter und de Anzahl und die Kraft der Maschinen verdoppelt haben werden.

5

Überblick und Entwicklung von Zahlen aus der Einleitung:

3

EinwohnerInnen in den großen Städten: Manchester und Liverpool: 700.000

Bolton 60.000 Rochdale 75.000 Oldham 50.000 Preston 60.000

Ashton und Stalybridge 40.000
Glasgow: weiteres Zentrum der Baumwollindustrie in Schottland

6

Überblick und Entwicklung von Zahlen aus der Einleitung:

4

Mit der Baumwollindustrie verwandte und von ihr abhängige Industriezweige:

Spitzen-, Leinen und Seidenproduktion: Bleicherei, Färberei, Druckerei; Schafzucht und Wollindustrie; Dampfmaschinen mit Eisen- und Kohlenbergwerken, Gießereien und Hochöfen zur Produktion von Maschinen; Kupfer und Bleibergwerke, Glas und Steingutproduktion.

Kohlengruben in Northumberland und Durham: 1753: 14
1843: 130

Ackerbau:

Von 1760 bis 1834: 6 800 000 englische Morgen urbar gemacht, aus einem

Getreideimporteur wird nun England zu einem Getreideexporteur.

7

Überblick und Entwicklung von Zahlen aus der Einleitung:

5

Infrastruktur:

seit 1803: 900 Meilen Strassen in Schottland, desgleichen in Irland; vor 1755 kaum Kanäle in England, jetzt 2200 Meilen Kanäle und 1800 Meilen schiffbare Flüsse

Eisenbahnen:
1830 Liverpool- Manchester

Dampfschiffe: 1807 auf Hudson, 1811 auf Clyde,

600 in England gebaut

8

InhaltsverzeichnisIst nicht der Inhalt!

1. Einleitung
2. Das industrielle Proletariat 3. Die großen Städte
4. Die Konkurrenz
5. Die irische Einwanderung 6. Resultate

7. Die einzelnen Arbeitszweige 8. Die übrigen Arbeitszweige 9. Arbeiterbewegungen
10. Bergwerksproletariat

11. Ackerbauproletariat
12. Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat

9


23

Die sechs Punkte der Charta der Working Men ́s Association 1838, William Lovett

  1. Allgemeines Stimmrecht für jeden mündigen Mann, der bei gesundem Verstande und keines Verbrechens überführt ist;

  2. jährlich zu erneuernde Parlamente;

  3. Diäten für die Parlamentsmitglieder, damit auch Unbemittelte

    eine Wahl annehmen können;

  4. Wahlen durch Ballotage, um Bestechung und

    Einschüchterung durch die Bourgeoisie zu vermeiden;

  5. gleiche Wahldistrikte, um gleich billige Repräsentation zu

    sichern, und

  6. Abschaffung der - ohnehin illusorischen - ausschließlichen

    Wählbarkeit derjenigen, die 300 Pfd. Sterling in Grundbesitz

    haben, so daß jeder Wähler auch wählbar ist.

24

"Der Chartismus, meine Freunde, ist keine politische Frage, wobei es sich darum handelt, daß ihr das Wahlrecht bekommt usw.; sondern der Chartismus, das ist eine Messer- und Gabel-Frage, die Charte, das heißt gute Wohnung, gutes Essen und Trinken, gutes Auskommen und kurze Arbeitszeit."

Prediger Stephens vor 200.000 auf Kersall Moor in Manchester

25

a fair day's wage for a fair day's work

26

Die freie Konkurrenz aus “Arbeiterbewegung”

1 Die freie Konkurrenz hat den Arbeitern Leiden genug gemacht, um ihnen verhaßt zu werden; ihre Vertreter, die Bourgeois, sind ihre erklärten Feinde.

Der Arbeiter hat von der vollständigen Befreiung der Konkurrenz nur Nachteil zu erwarten.

Seine bisherigen Forderungen, die Zehnstundenbill, Schutz des Arbeiters gegen den Kapitalisten, guter Lohn, garantierte Stellung, Abschaffung des neuen Armengesetzes, alles Dinge, die mindestens ebenso wesentlich zum Chartismus gehören wie die "sechs Punkte", gehen direkt gegen die freie Konkurrenz und Handelsfreiheit.

27

2 Kein Wunder also, daß die Arbeiter, was die ganze englische Bourgeoisie nicht begreifen kann, von der freien Konkurrenz, Handelsfreiheit und Abschaffung der Korngesetze nichts wissen wollen und gegen letztere mindestens höchst gleichgültig, gegen ihre Verteidiger aber im höchsten Grade erbittert sind.

Diese Frage ist gerade der Punkt, an dem sich das Proletariat von der Bourgeoisie, der Chartismus vom Radikalismus scheidet, und ein Bourgeoisverstand kann das nicht begreifen, weil er das Proletariat nicht begreifen kann.

Darin liegt aber auch der Unterschied der chartistischen Demokratie von aller bisherigen, politischen Bourgeoisie-Demokratie. Der Chartismus ist <451> wesentlich sozialer Natur.

28

3 Die "sechs Punkte", die dem radikalen Bourgeois eins und alles sind, höchstens noch einige Reformen der Konstitution hervorrufen sollen, sind dem Proletarier nur das Mittel. "Politische Macht unser Mittel, soziale Glückseligkeit unser Zweck", das ist jetzt der deutlich ausgesprochene Wahlspruch der Chartisten.

Die "Messer- und Gabel-Frage" des Predigers Stephens war nur für einen Teil der Chartisten von 1838 eine Wahrheit; sie ist es 1845 für alle.

Es gibt keinen bloßen Politiker mehr unter den Chartisten. .....

29

4 Die Annäherung an den Sozialismus kann nicht ausbleiben, besonders wenn die nächste Krisis, die auf den jetzigen lebhaften Zustand der Industrie und des Handels allerspätestens bis 1847 (6), wahrscheinlich aber schon im nächsten Jahre folgen muß, eine Krisis, die alle früheren an Heftigkeit und Wut weit übertreffen wird, durch die Not die Arbeiter immer mehr auf soziale statt auf politische Hülfsmittel verweisen wird. Die Arbeiter werden ihre Charte durchsetzen, das ist natürlich; aber bis dahin werden sie noch über vieles klarwerden, was sie durch die Charte durchsetzen können und wovon sie jetzt noch wenig wissen. ......

30

5 Die Sozialisten sind durchaus zahm und friedfertig, erkennen die bestehenden Verhältnisse, so schlecht sie sind, insofern als gerechtfertigt an, als sie jeden andern Weg als den der öffentlichen Überzeugung verwerfen, und sind doch zu gleicher Zeit so abstrakt, daß sie in der jetzigen Form ihrer Prinzipien diese öffentliche Überzeugung nie gewinnen würden. Dabei klagen sie fortwährend über die Demoralisation der unteren Klassen, sind blind gegen das Fortschrittselement in dieser Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung und bedenken nicht, daß die Demoralisation des Privatinteresses und der Heuchelei unter den besitzenden Klassen bei weitem schlimmer ist.

31

6 Sie erkennen keine historische Entwicklung an und wollen daher die Nation ohne weiteres, ohne Fortführung der Politik bis zu dem Ziele, wo sie sich selbst auflöst, sogleich in den kommunistischen Zustand versetzen.
Sie begreifen zwar, weshalb der Arbeiter gegen den Bourgeois aufgebracht ist, sehen aber diese Erbitterung, die doch das einzige Mittel ist, die Arbeiter weiterzuführen, für unfruchtbar an und predigen eine für die englische Gegenwart noch viel fruchtlosere Philanthropie und allgemeine Liebe. Sie erkennen nur die psychologische Entwicklung an, die Entwicklung des abstrakten Menschen, der außer aller Verbindung mit der Vergangenheit steht, wo doch die ganze Welt auf dieser Vergangenheit beruht und der einzelne Mensch mit ihr.
Daher sind sie zu gelehrt, zu metaphysisch, und richten wenig aus.

32

7 Sie rekrutieren sich teilweise aus der Arbeiterklasse, von der sie aber nur einen sehr kleinen Teil, freilich die Gebildetsten und Charakterfestesten, herübergezogen haben. In seiner jetzigen Gestalt wird der Sozialismus nie Gemeingut der Arbeiterklasse werden können; er wird sich sogar erniedrigen müssen, einen Augenblick auf den chartistischen Standpunkt zurückzutreten; aber der durch den Chartismus hindurchgegangene, von seinen Bourgeoisie-Elementen gereinigte, echt proletarische Sozialismus, wie er sich schon jetzt bei vielen Sozialisten und bei vielen Chartistenführern, die fast alle Sozialisten sind O7(7), entwickelt, wird allerdings, und das in kurzem, eine bedeutende Rolle in der Entwicklungsgeschichte des englischen Volkes übernehmen.

33

34

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