In einem schrecklichen Unwetter kentert das Boot eines Reisenden.
Er hat Glück und wird total erschöpft an den Strand der Insel der Seeligen gespült.
Dort leben 100 Insulaner in perfektem Frieden. Alle sind auffallend glücklich und zufrieden.
Überaus hilfsbereit nehmen sie den Gestrandeten bei sich auf. Als er wieder zu Kräften gekommen ist erzählen ihm ihre Geschichte:
Sie haben alle das gleiche Vermögen und lassen ihr Geld arbeiten.
Sie investieren es in die wunderschöne Landschaft, bauen auf fruchtbaren Böden herrliche Früchte an und züchten kräftige Tiere, die sie an ihre Mitbewohner verkaufen. Manche legen ihr Geld auf Sparbücher mit prächtigen Zinsen.
Auf dieser Insel der Seeligen möchte keiner den anderen übervorteilen oder gar betrügen.
Aber so gerecht und ehrlich sie auch zueinander sind, immer wieder passiert es, dass ganz wenige von ihnen viel reicher werden und alle fast nichts mehr haben.
Gegen diesen unerklärlichen Verlauf haben sie aber eine einfache Lösung gefunden:
Am Ende eines Jahres werfen sie einen grossen Teil aller Vermögen auf einen Haufen und verteilen diesen wieder gerecht an alle. Das nennen sie "Umverteilung".
Der Gestrandete wundert sich über diesen ungewöhnlichen Brauch und fragt, wie sie auf diese seltsame Idee gekommen sind.
Sie erklären, dass in grauer Vorzeit ein Prophet bei ihnen gelandet war und ihnen dieses Vorgehen als für ihren inneren Frieden enorm wichtig empfohlen hat.
Da erinnert sich der Gestrandete dunkel, dass er in der Schule ähnliches gelernt hatte: in vielen alten Kulturen war es üblich gewesen, entstandene Ungleichheit regelmässig auszugleichen, Namen wie Symposion oder Jubeljahr tauchen in seinem Gedächtnis auf.
Und wirklich erlebt unser Gestrandeter den Frieden, die Ruhe und Ausgeglichenheit der Inselbewohner als Beweis für die mächtige Wirksamkeit dieser seltsamen Umverteilung. Er denkt: "Das ist ja wirklich wie auf einer Insel der Seeligen hier, ganz anders als in meinem Heimatland, wo Gier, Hektik und Mißgunst herschen."
Falls er durch glückliche Fügung jemals wieder in sein Heimatland zurückkehren könnte, dann würde er seinen Volksvertretern unbedingt eine ähnliche Vorgangsweise empfehlen.
Nach einigen glücklichen Jahren, die er noch auf der Insel der Seeligen verbringen darf, erscheint eines Tages ein silbernes Boot am Horizont, das ihn schließlich an Bord nimmt und nach langer Fahrt in sein Heimatland zurück bringt.
Einerseits ist er jetzt froh, wieder zu Hause zu sein, andereseits ist er entsetzt, wie sich die Lage in seinem Land verschlechtert hat: Viele Leute sind völlig verarmt, auch seine Brüder, Schwestern und Freunde. Er wundert sich auch über hohe Mauern mit vielen Wächtern an Orten, mit denen sich wenige Reiche aus Angst vor den Armen schützen wollen und die vielen schwer bewaffneten Polizisten, die ängstlich die jammernden Armen von Verzweiflungstaten abhalten müssen.
So sucht er um Audienz bei seinen Volksvertretern an. Als er endlich vorgelassen wird, berichtet er ihnen über seine Erlebnisse auf der Insel der Seeligen und schlägt ihnen diese regelmäßige Umverteilung zur Wiedererlangung des inneren Friedens vor. Doch da brechen die Volksvertreter in ein verzweifeltes Lachen aus. Sie sagen, dass so etwas bei ihnen gänzlich unmöglich sei. Das von ihnen vertretene Volk bewundere die Reichen und verehre sie besonders intensiv. Viele Arme glaubten in ihrer Verblendung, Vermögen sei sakrosankt. Daher dürfe man niemandem etwas wegnehmen. So sehr wünschen auch die Armen, den Reichen ähnlich zu sein, dass sie jegliche Umverteilung als undenkbar und sogar sündhaft ablehnen.
Dabei geraten immer mehr Menschen in bittere Armut. Manche von diesen Unglücklichen versuchen mit Gewalt, anderen ihr Eigentum zu entreissen. Leider sind das meist ähnlich Arme wie sie selbst, da die Reichen in ihren sicheren Schlössern hinter den hohen Mauern für sie unerreichbar sind. Aber die Reichen werden immer gieriger. Sie versuchen durch unredliche Machenschaften, noch mehr Vermögen anzuhäufen. Sie verlangen von den Armen immer höhere Mieten und Zinsen, zahlen immer geringere Löhne, bedrohen manche Beamte, um noch mehr Vorteile zu erlangen. Mächtige Reiche bestechen sogar Volksvertreter diese Gesetze zu beschließen, die es ihnen erlauben, die Armen noch mehr auszubeuten.
Den Reichen gelingt es immer mehr, Vermögen als heilig und die Ungleichheit als naturgegeben und von Gott gewollt hinzustellen. Daher traut sich kein Volksvertreter, mutig geeignete Naßnahmen gegen die immer stärker wachsende Ungleichheit zu ergreifen.
Und so kommt es schließlich zu einem fürchterlichen Bürgerkrieg, bei dem alle Reiche und viele Arme ihr Leben verlieren. Und wenn die wenigen Überlebenden nicht auch schon gestorben sind, dann leben sie heute noch - aber nur mit regelmäßiger Umverteilung wie auf der Insel der Seeligen.
Wenn du auch überleben möchtest, dann kannst du dir hier ein paar neue Fakten holen und praktisch ausprobieren, wie Umverteilung funktionieren könnte:
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Mittwoch, 2. Februar 2022
Umverteilung auf der Insel der Seeligen - ein Märchen
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