Eine Annäherung an Guy Debord [1931 - 1994]
„Die Gesellschaft des Spektakels“
In der Zeitschrift „Situationistische Internationale“ ist mit dem Datum 17. Mai 1960 in der
4.Nr. ein Manifest gedruckt. Im zweiten Absatz darin ist bemerkenswerter Weise dieser Text zu lesen: „Die gesellschaftliche Entfremdung und Unterdrückung kann unmöglich gestaltet werden, in keiner ihrer Varianten – sie kann nur en bloc mit dieser Gesellschaft zurückgewiesen werden.“ Directeur dieser SI Nummer: Guy Debord, ParisIn seinem Hauptwerk „Die Gesellschaft des Spektakels“ entlarvt Debord an Hand von 221 Thesen unsere Gesellschaft als die eines verfremdeten Spektakels. Es ist eine Anklage der modernen Industriegesellschaft, des Kapitalismus, der Form der Ware – also alles wird zur Ware und das ist ja mehr den je aktuell.
1967 erschienen, befeuerte das Gedankengut des Buches die 1968 Bewegung. Da aber mit den 1968er Unruhen nirgends ein Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnungen gelungen ist, hat sich das Spektakel allenthalben verstärkt – wir stecken gerade total darin fest!
Debord beschreibt eine Gesellschaft, die das Oberflächliche feiert, im Konsum Erfüllung finden möchte, die sich in den Medien selbst betrachtet und bewundert und alles für käuflich hält.
Diese Gesellschaft scheine hypnotisiert vom Anblick eines „wahren echten“ Lebens als Bild, als Klischee, während gleichzeitig in ihrem Alltag lebendige, menschliche Regungen abnehmen. Es findet eine Unterjochung und Verarmung des wirklichen Lebens statt. (Siehe z.B. Facebook, wo das mehr als nur wahr geworden ist.)These 1:
Das Leben der Gesellschaften, in denen die modernen Produktionsbedingungen herrschen,
erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Spektakeln. Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.
These 2:
Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben, verschmelzen in einem gemeinsamen Lauf, in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann.
Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudowelt, Gegenstand der bloßen Kontemplation. Die Spezialisierung der Bilder der Welt findet sich vollendet in der autonom gewordenen Welt des Bildes wieder, in der sich das Verlogene selbst belogen hat. Das Spektakel überhaupt ist, als konkrete Verkehrung des Lebens, die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.
Und noch deutlicher gesagt: These 14
……...Im Spektakel, dem Bild der herrschenden Wirtschaft, ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will sich zu nichts anderem bringen als zu sich selbst.
These 15
Als unerläßlicher Schmuck der erzeugten Waren, als allgemeine Darstellung der Rationalität des Systems und als fortgeschrittener Wirtschaftsbereich, der unmittelbar eine wachsende Menge von Objekt-Bildern gestaltet, ist das Spektakel die hauptsächliche Produktion der heutigen Gesellschaft.
These 30
Die Entfremdung des Zuschauers zugunsten des angeschauten Objekts….drückt sich so aus:
je mehr er zuschaut, umso weniger lebt er; je mehr er akzeptiert, sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen, desto weniger versteht er seine Existenz und seine eigene Begierde…….. Der Zuschauer fühlt sich daher nirgends zu Hause, denn das Spektakel ist überall.
These 40
Absatz
…..Diese unaufhörliche Entfaltung der wirtschaftlichen Macht in der Form der Ware, die die menschliche Arbeit, zur Ware-Arbeit, zur Lohnarbeit, umgebildet hat, führt kumulativ zu einem Überfluss, in dem die Grundfrage des Überlebens zweifelsohne gelöst wird, aber so, daß sie immer wiederkehren muß; sie wird jedesmal auf eine höhere Stufe gestellt. Das Wirtschaftswachstum befreit die Gesellschaften vom natürlichen Druck der ihren unmittelbaren Überlebenskampf erforderte – von ihrem Befreier sind sie nun aber nicht befreit. Die Unabhängigkeit der Ware hat sich auf die von ihr beherrschte Wirtschaft in ihrer Gänze ausgedehnt. Die Wirtschaft verwandelt die Welt, aber nur in eine Welt der Wirtschaft.
Debords Kritik am Spektakel ist also auch eindeutig als Kritik am Wirtschaftswachstum zu sehen.: „Im Spektakel…. ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst.“ Der Mensch akzeptiert ja inzwischen, selbst zur Ware zu werden! „Der verdinglichte Mensch trägt den Beweis seiner Intimität mit der Ware zur Schau.“ Und wie gesagt, wir stecken da ganz fest drin!
These 219
…. Wer passiv sein täglich fremdes Schicksal erleidet, wird daher zu einem Wahnsinn getrieben, der illusorisch auf dieses Schicksal reagiert, indem er sich mit magischen Techniken behilft. Die Anerkennung und der Konsum der Waren stehen im Zentrum dieser Pseudoantwort auf eine Kommunikation ohne Antwort.
Diese Gesellschaft wollte Debord von Anfang an stürzen. Er schreibt selbst in seinem Vorwort in der späteren Ausgabe von 1992: „Man muss sich beim Lesen dieses Buches vergegenwärtigen, dass es bewußt mit der Absicht geschrieben worden war um der spektakulären Gesellschaft zu schaden.“
Debord war also gegen eine bequeme Passivgesellschaft und für die Selbstbestimmung des Menschen und seines Alltags. Gegen die alte Trennung zwischen aufgezwungener Arbeit und passiver Freizeit setzt er das Spiel und zwar ist es eine Aufforderung zum Spiel der menschlichen Anwesenheit…..Es wird eine Kunst des Dialoges sein!
Also miteinander reden!
Wie kann man sich das jetzt aber vorstellen? Eine Welt ohne Waren?Debord selbst wollte auch in der Kunst kein Objekt als Ware mehr haben. Er wollte auch den Film in den Dienst der Abschaffung des Kapitalismus stellen. Es gibt eine Verfilmung der Gesellschaft des Spektakels, eine Filmcollage, die Debord 1973 gestaltete. Darin sind Szenen aus Hollywoodfilmen, SowjetKino, aus Softpornos, dokumentarischen Filmmaterial von den Maiunruhen in Frankreich 1968 mit einem gesprochenen Kommentar von Debord verbunden.
Das breite Echo und Debords starker Einfluß auf die Kunst ist ja vor allem bei der Performance zu sehen aber auch Punk, Streetart und viele andere künstlerische Strömungen beziehen sich auf Debord.
Es bleiben uns seine wichtigsten Strategien, die uns Debord als Kampfmittel hinterlassen hat: das Detournement – die Zweckentfremdung bereits existierender Elemente in einem neuen Zusammenhang: In der Umkehrung entwickelt sich eine Kreativität, die andere Ideen hervorbringt. Und die Technik des Derive - das Umherschweifen … das können wir heute noch einsetzen um neue Wege der Gesellschaft zu finden.
Um mit dem Manifest der SI zu enden: „Wir führen jetzt das ein, was historisch der letzte Beruf sein wird. Die Rolle des Situationisten, des Berufsamateurs, des Anti-Spezialisten.“